Bandoneon

„Meine Musik ist Buenos Aires“ – dieser Satz von Astor Piazzolla kommt mir unweigerlich in den Sinn, als ich in dieser Stadt ankomme. Es ist laut, chaotisch, schmutzig, die Luft scheint zu beben, keine Ruhe, nirgendwo. Aber je mehr ich hineintauche in dieses Chaos, umso mehr verändert sich das Bild – es ist nicht mehr nur Hektik, sondern das pulsierende Leben.

Tango ist in Buenos Aires überall und immer, abends irgendwo in der Innenstadt ein tanzendes Paar zur Musik aus dem Rekorder, dann als Touristenveranstaltung für Tausende in einer Fabrikhalle.

Und es gibt Tangos wie an dem Abend in dem kleinen Café. Sie spielen Musik aus den zwanziger Jahren bis hin zu Piazzolla, so authentisch, so schön gesungen, so traurig und wieder so fröhlich. Das sind die Geschichten die das Leben erzählt.

Und über allem schwebt dieser unverwechselbare Klang des Bandoneons, das in der Tiefe an den warmen leidenschaftlichen Klang eines Cellos erinnert und in der Höhe auch wieder scharf und unerbittlich schneidend klingen kann.

In dem Moment wusste ich: Das ist meine Musik und das ist das Instrument mit dem ich dieser Musik wirklich gerecht werden kann!

Eigentlich hatte ich gar keine Ahnung vom Bandoneon. Ich kannte nur diesen Klang, der eine Sehnsucht in mir weckte, von der ich noch nicht wusste, wohin sie mich treiben wird.

Was für ein Glück, wieder zurück in Deutschland, direkt auf einen der wenigen noch aktiven Bandoneonbauer, -lehrer und Solisten, Klaus Gutjahr (Berlin) zu treffen. So hatte ich doch schneller als erwartet ein eigenes Instrument und stürzte mich in das Abenteuer mit dem viereckigen Kasten – und da waren sie wieder:

Diese vielen Knöpfe!

Jetzt erst merkte ich, auf was ich mich eingelassen hatte.

Insgesamt 152 Töne in scheinbar willkürlicher Anordnung. Was die Sache zusätzlich erschwert, das Bandoneon ist ein wechseltöniges Instrument: derselbe Knopf bringt zwei verschiedene Töne hervor – einen wenn man den Balg auseinanderzieht, einen anderen, wenn man ihn zusammendrückt, aber das Intervall der beiden Töne ist immer ein anderes. Mit insgesamt über 5 Oktaven erreicht dieser kleine Kasten fast den Tonumfang eines Klaviers. Die vielen Jahre in denen ich das Akkordeon intensiv studiert und gespielt hatte, halfen mir sicherlich für die musikalische Vorstellungskraft und den Umgang mit Balg und Knöpfen, aber dieses verrückte System mit der irrationalen Verteilung der Töne, verlangte doch einiges mehr von mir.

Diese unlogische Bauweise kann man sich nur damit erklären, dass die ersten Bandoneons, entwickelt um 1845 (ja, der Konstrukteur hiess tatsächlich Band, Heinrich aus Krefeld), noch einen sehr geringen Tonumfang hatten. Dieser wurde erst nach und nach, je nach Region und durch Anregungen einiger Musiker, erweitert. Später gab es auch Versuche das Bandoneonsysthem zu vereinfachen, indem man es, in Anlehnung an das chromatische Akkordeon, gleichtönig baute. Aber das führte dazu, dass diese Instrumente, durch die notwendige Veränderung der Konstruktion, nicht mehr den unverwechselbaren Klang hatten, den das Bandoneon ausmacht. Auch bringt die Spielweise des wechseltönigen Bandoneons eine gewisse Sperrigkeit mit sich die zum typischen Klangcharakter des Instruments gehört, ein Merkmal, das einem auch plötzlich fehlt.

Von der Kirche durchs Bordell in den Konzertsaal!

Wie dieses Bandonion (wie es ursprünglich in Deutschland noch hiess) dann tatsächlich nach Argentinien gekommen ist, weiss man bis heute nicht genau. Vom Niederrhein an den Rio de la Plata – wurde es von einem Matrosen in einer Hafenkneipe gegen Schnaps eingetauscht? – Oder befand es sich vielleicht im Gepäck eines der vielen Einwanderer?

In Deutschland noch als transportabler Orgelersatz in Kirchen und als Volksmusikinstrument gespielt, tauchten um 1870 die ersten Bandoneóns (wie es dann in Argentinien genannt wurde) in Buenos Aires auf. Zuerst in den Bordellen der Hafenstädte, eroberte es um die Jahrhundertwende die Tangoszene, und veränderte diesen damals noch jungen Musikstil grundlegend. Das Bandoneon wurde zum Hauptinstrument des Tangos. Nach einer fast hundertjährigen musikalische Entwicklung in Argentinien und Uruguay, brachte Astor Piazzolla mit seinem anspruchsvollen Tango Nuevo das Bandoneon in den Konzertsaal.

Aber Bandoneon ist nicht nur Tango.

Jetzt hatte ich endlich das Instrument für meine Leidenschaft gefunden! Wie schön ist es, zwischen beiden Instrumenten wählen zu können, das Bandoneon für den Tango, das Akkordeon für alles andere. So dachte ich zuerst…

Am Anfang einer Reise weiss man nicht wohin sie führt und wie sie einen selbst verändern wird. Die Schubladen habe ich längst hinter mir gelassen. Heute wähle ich nach musikalischen Kriterien aus, welches Instrument ich einsetze. Ich verwende das Bandoneon mit seinen grossen klanglichen Ausdrucksmöglichkeiten auch für Barockmusik, Romantik und Oper.

Wer weiss, wohin die Reise noch geht…?

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